Regeln für die Transferberatung
Ich möchte in der Folge erörtern, welchen Regeln die Zusammenarbeit des Beraters in einer Transfergesellschaft folgen muss, damit diese nicht nur erfolgreich sein kann, sondern auch hinsichtlich ethischer Prinzipien zu rechtfertigen ist. Es soll dabei weniger um inhaltliche Fragen der Transferberatung gehen als um die Fragen nach der angemessenen Rolle des Transferberaters im Beratungsprozess: Wie ist die Rolle des Beraters zu sehen und welche grundsätzlichen Anforderungen an seine Haltung gegenüber den Teilnehmern an der Transfergesellschaft kann man stellen? Dabei möchte ich den inhaltlichen Aspekt im Wesentlichen außen vor lassen, und mich auf die Ethik der Beratung in Transfergesellschaften konzentrieren.
Zur Beratung in Transfergesellschaften
Betrachtet man nun die Transferberatung als Spezialfall der Beratung, stellt sich zunächst die Frage, ob der Beratungsbegriff hier zutreffend ist. Viele sehen in einem Transferberater primär einen Arbeitsvermittler. Das entspricht der Aufgabe der Transfergesellschaft, die von einer Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter möglichst schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. In der Praxis stellt sich diese Aufgabe jedoch als beratungsintensiv dar. Denn mit dem Wegfall des ursprünglichen Arbeitsplatzes stellt sich für viele Mitarbeiter die Notwenigkeit einer beruflichen Umorientierung. Hierfür sind mehrere Gründe ausschlaggebend. Betriebsänderungen und der damit einhergehende Stellenabbau sind oftmals dem Strukturwandel der Wirtschaft geschuldet. Das erfordert von den betroffenen Arbeitnehmern oftmals einen Wechsel der Branche oder auch des kompletten Berufsbildes. Früher erworbene Qualifikationen sind nach langer Betriebszugehörigkeit häufig nicht mehr arbeitsmarktgerecht und müssen durch geeignete Qualifizierungen an die neuen Anforderungen angepasst werden. Zudem erfordert der oftmals propagierte Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt ein professionelles Bewerbungsverhalten, um von den Unternehmen als Fachkraft identifiziert werden zu können.
Die Teilnehmer der Transfergesellschaft benötigen daher Beratung vor allem in drei Bereichen:
– Beratung zur beruflichen Neuorientierung
– eine fundierte und arbeitsmarktorientierte Weiterbildungsberatung
– Beratung in Hinblick auf einen professionellen Bewerbungsauftritt
Die Beratung schafft in dieser Reihenfolge die Voraussetzung für die Vermittlung. Dabei steht bei den beiden letzten Punkten die fachliche Beratung im Vordergrund. Die Beratung am Beginn des Transferprozesses ist jedoch auf einer fundamentaleren Ebene angesiedelt, da die Formulierung neuer beruflicher Ziele eine Entscheidung für die zukünftige Lebensführung bedeutet.
Der Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes wird vielfach als eine existenzielle Bedrohung empfunden, was nur zum Teil durch die Besorgnis über die materielle Zukunft erklärbar ist. Der geregelte Gang des Arbeitslebens fällt weg und mit ihm die Sicherheit des gewohnten Rahmens. Jetzt werden Entscheidungen gefordert, die man mit der Berufswahl oft schon hinter sich geglaubt hatte. Dass die Zukunft offen ist und gestaltet werden muss, wird unmittelbar erfahren. Einige verstehen das als Chance, viele mehr als Bedrohung. Der bisherige Lebensentwurf, der oftmals für die Betroffenen einen Verbleib im Unternehmen bis zur Rente vorgesehen hatte, muss neu geschrieben werden. Dabei kann der Transferberater unterstützend eingreifen. Dies ist eine seiner wichtigsten Aufgaben.
Der Transferberater als Coach
Hier ist der Berater als Coach gefragt. Er kann hier nur unterstützend eingreifen bei der Entscheidungsfindung eingreifen, muss sich aber inhaltlicher Festlegungen enthalten. Denn erbelibt Außenstehender und die Gestaltung des Lebens kann jeder nur für sich bzw. im engsten Kreis von Familie und Freunden entscheiden. Dennoch kann der Coach diesen Prozess aktiv begleiten. Hier sind folgende Schritte zu gehen:
– Gemeinsames Erarbeiten der Handlungsalternativen: das beginnt damit, die Ressourcen herauszuarbeiten, die dem Klienten zur Verfügung stehen. Also welche Kompetenzen, also hard und soft skills besitzt er. Wieviel Kraft und Zeit kann er investieren, an welche materiellen und emotionalen Rahmenbedingungen ist er gebunden. Es geht hier um einen Prozess der Selbstbewusstwerdung, den der Coach durch geschicktes Fragen begleiten und fördern kann. Hilfreich ist auch ein klares Feedback, wie der Betroffene wirkt und was er ausstrahlt. Ziel ist es, auch die Aspekte ans Licht zu bringen, die normalerweise nicht im Bewusstsein sind bzw. als unwichtig gewertet werden.
– Aus diesen Ressourcen können dann Handlungsalternativen entwickelt werden, wobei der Coach hier aufgrund seiner Kenntnis des Arbeitsmarktes Ideen mit entwickeln kann. Er kann den Klienten dazu ermutigen, nach neuen unkonventionellen Wegen zu suchen und Denkblockkaden einzureißen. Je mehr Handlungsalternativen sich ergeben, desto besser ist es.
– Die Aufgabe der Bewertung stellte sich erst im Anschluss. Dabei muss sich der Berater streng zurückhalten. Er soll selbst keine Bewertung abgeben, sondern den Klienten befähigen, seine Entscheidung möglichst gut treffen zu können. Das heißt, er muss mit ihm die Konsequenzen und Chancen der Alternativen herausarbeiten. Wenn es um die Entscheidungsfindung geht, soll dem Klienten klar werden, welche Motive und Muster ihn unbewusst beeinflussen, aber natürlich auch, welche Konsequenzen eine Entscheidung für ihn und sein Umfeld hat.
– Die Wahl wird nicht immer so fallen, wie der Berater sie erwartet oder wie sie der Vermittlung dienlich ist; dennoch ist das zu akzeptieren – der Berater ist nicht Entscheider. Eine Bewertung hinsichtlich richtig oder falsch ist nicht Gegenstand der Beratung. Aber natürlich ist es Aufgabe des Beraters, die Konsequenzen der Entscheidung mit dem Klienten zu diskutieren und hier auch sein Wissen mit einzubringen.
Jobcoaching und Bewerbungsberatung
Erst vor dem Hintergrund des gesetzten Zieles können die Mittel zur Erreichung gewählt werden. Im Transferbereich geht es hierbei um die notwendigen Schritte, um zu einer neuen Stelle zu kommen. Hier kann der Berater seine Expertise rund um die Themen Arbeitsmarkt, Recruiting und Bewerbung einbringen. Aber auch dabei gibt es kein exaktes Wissen. Zwar kann man annehmen, dass es gewisse Regeln gibt, die den Erfolg einer Bewerbung begünstigen. Aber da die Bewertung von Bewerbungsunterlagen oder von Bewerbern im Vorstellungsgespräch nicht nur von der objektiven Qualifikation, sondern auch von den jeweiligen Personalverantwortlichen oder Recruitern abhängt, ist es immer auch eine Frage der persönlichen Vorlieben. Insofern kann Beratung hier nur allgemeine Regeln aufzeigen und die Bewerber argumentativ begleiten, nicht aber direkte Vorgaben machen. Dies umso mehr, als der Bewerber mit seinem Namen für die Bewerbung einsteht. Hier besitzt der Berater also durch sein Fachwissen einen Kompetenzvorsprung. Er kann daraus aber nicht ein mit Sicherheit erfolgreiches Vorgehen ableiten, sondern muss immer wieder aufs Neue durch die Kraft von Argumenten oder die Plausibilität von Vorschlägen mit dem Teilnehmer den richtigen Weg zum Ziel suchen.
Er begleitet zudem die Bewerbungskampagne, indem er konkrete Bewerbungen mit vorbereitet und die Vorstellungsgespräche vorbereitet. Er ist hier als Schreib- und Kommunikationstrainer gefordert, gibt konstruktive Hinweise und Verbesserungshinweise, bleibt aber stets nur Trainer und nicht Spieler. In dieser Funktion ist er zugleich Tröster bei Absagen, Motivator für weitere Schritte und braucht Empathie und ein stets offenes Ohr für die Belange des Klienten.
Regeln zur Ethik der Beratung in Transfergesellschaften
Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen kann man folgendes zur Rolle des Beraters in der Transfergesellschaft festhalten:
– Der Berater gibt keinen Weg vor, sondern ist Begleiter, Motivator und Unterstützer bei der beruflichen Neuorientierung.
– Er ist empathisch, aber wahrt die kritische Distanz, die er als Außenstehender besitzt.
– Der Berater verfolgt kein Eigeninteresse.
– Die Beratung erfolgt mittels Informationen, durch gezielte Fragen und begründete Argumente.
– Fachwissen ist wichtig, begründet aber kein Autoritätsgefälle zwischen Berater und Teilnehmer.
– Der Berater ist kein Entscheider, gibt Hilfestellung, aber bewertet die Entscheidungen des Teilnehmers nicht, sondern zeigt Konsequenzen auf.
– Der Teilnehmer bleibt Herr über den gesamten Prozess und wird zu nichts gezwungen.
Wenn der Berater diese Regeln einhält, gewährleistet das noch nicht eine wirklich gute Beratung. Ihre Qualität hängt darüber hinaus auch zu einem großen Teil auch vom Fachwissen und den kommunikativen Fähigkeiten des Beraters ab. Die Regeln stellen aber notwendige – nicht hinreichende – Bedingungen dar, dass Beratung gut werden kann.
Literatur
– Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, Mannheim 2006.
– Gabler Wirtschaftslexikon, 14. Auflage, Wiesbaden 1997.
– Grimm, J. u. W.: Deutsches Wörterbuch. Göttingen 1893.
– Lexikon der Psychologie, hg. Von Wilhelm Arnold et al., Freiburg, Basel, Wien 1980.
– Pesendorfer, Bernhard: Etymologisches zu Rat und Beraten. In: Beratung und Ethik, hg. Von P. Heintel, Klagenfurt 2006.