Aristoteles Nikomachische Ethik: Ziele sind wichtig

Aristoteles beginnt seine Nikomachische Ethik beginnt  mit der Feststellung, dass jede Handlung nach einem Ziel strebe. Im altgriechischen Original heißt es sogar – wörtlich übersetzt –, dass jede Handlung nach einem „Gut“ (griech. Agathon) strebe. Mit unseren Handlungen wollen wir also nicht eine neutrales Ziel erreichen, sondern etwas, was wir als gut ansehen. Was aber ist das wahrhaft Gute  und nicht nur das, was wir dafür halten?

Das ist eine Frage, die wir uns auch heute noch stellen, beinahe 2500 Jahre nach der Lebenszeit des griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.). Weil er hierzu in der Ethik, die nach seinem Sohn Nikomachos benannt ist, wesentliche Punkte bereits genannt hat, lohnt es sich, dort genauer nachzulesen und die Argumentation nachzuvollziehen.

Athena Tempel, Assos, Canakkale

Es gibt zwei Kategorien von Zielen

Auch wenn jede Handlung nach eine Gut strebt, sind nicht alle Ziele von Handlungen gleich. Herstellende Tätigkeiten zielen darauf, etwas zu schaffen, was Bestand hat. Ein konkretes Beispiel dafür ist ein Hausbau. Wer ein Haus baut, möchte, dass dieses stabil steht und bewohnbar ist, unabhängig davon, mit welchen Mühen und Anstrengungen es gebaut worden ist. Wichtig ist also das Ergebnis.

Im Gegensatz dazu gibt es Tätigkeiten, die auf kein Werk zielen, sondern ihre Erfüllung schon darin haben, dass man sie tut. Heutzutage könnte man sie vielleicht performativ nennen. Dazu gehören z. B. Tanzen oder Singen, aber auch Nachdenken und Betrachten.

Hierarchie der Ziele in Aristoteles Nikomachischer Ethik

Zudem gibt es immer Handlungen, die man nur vollzieht, um etwas anderes zu erreichen. Um etwa einkaufen zu können, muss man erst zum Laden gehen; oder wie Aristoteles vor dem Hintergrund der antiken Welt schreibt: das Werk des Sattlers braucht der Reiter, damit er gut reiten kann. Daraus ergibt sich eine Hierarchie der Güter: was höher in der Reihenfolge steht wird auch als höherwertig angesehen. Wobei – so Aristoteles – es nicht darauf ankommt, um welche Art von Tätigkeit es sich handelt. Er geht davon aus, dass sowohl herstellende wie auch performative Handlungen sich in diese Hierarchie einfügen.

Die Charakteristika des höchsten Gutes

Wenn es eine Hierarchie der Güter gibt, dann muss diese auch enden: in einem höchsten Gut, das an der Spitze der Hierarchie steht. Aufgrund dieser Position lassen sich seine Eigenschaften ableiten. Es ist selbstgenügsam und autark, wird also nicht wegen eines anderen erstrebt, sondern weil es selbst wertvoll ist. Als höchstes Gut ist es das, was das Leben erfüllt. Aristoteles spricht hier davon, dass es „für sich allein das Leben begehrenswert macht und vollständig bedürfnislos.“ (EN 1097b14)
Ein Ziel kann es aber gleichzeitig nur sein, wenn es mit einer Handlung verbunden ist. Wenn die Eigenschaften das höchste Gutes richtig abgeleitet sind, dann kann es nur mit einer Handlung verbunden sein, die in sich wertvoll ist, also auf kein außer ihr liegendes Ergebnis zielt. Wir haben das oben als performatives Handeln bezeichnet. Ein solches Handeln besitzt auch kein natürliches Ende, sondern kann immer weiter fortgesetzt werden. Das höchste Gut für das Leben ist also ein Tätigsein und kein Zustand. Wäre es anders, müssten wir mit dem Erreichen des höchsten Ziels passiv werden, letztendlich also das Leben einstellen.

Lebensformen nach Aristoteles Nikomachischer Ehtik

Mit diesen Charakteristika des höchsten Gutes kann man die Lebensformen danach überprüfen, inwiefern sie sich dazu eignen, das höchste Ziel zu erreichen. Aristoteles nennt drei mögliche Lebensformen. Eine Aufstellung, die auch für heute noch Gültigkeit hat. Gehen wir die Lebensformen im Einzelnen durch.

Das Leben des Genusses und des Geldes

Die erste ist das Leben des Genusses, das Aristoteles gänzlich ablehnt. Er nennt es viehisch, weil es ihr nur um die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse geht. Zugleich ist es für ihn eine sklavische Lebensform, weil man sich von äußeren Dingen abhängig macht.
Man möchte ergänzen, dass auch die Art des Handelns nicht zum höchsten Gut passt, weil ein dauerhaftes Tätigsein hier gar nicht möglich ist. Denn die Befriedigung im Genuss ist immer erst ein Ergebnis des Handelns. Zudem braucht das Leben des Genusses immer neue Reize und Sensationen, um die Lust wecken zu können – ein steter Wettlauf zwischen Abstumpfung und neuer Stimulation.
Ähnlich verfehlt der das höchste Ziel, dem es nur um Reichtum geht. Denn den kann man nur als ein Mittel einsetzen, ein Tätigsein ist mit dem Reichtum nicht verbunden.

Die Karriere als Ziel

Eine weitere Lebensform ist die der „gebildeten und energischen Menschen“. Sie wollen Karriere machen und einen gewissen Status erreichen und gewürdigt werden. Grundsätzlich ist das nicht abzulehnen, sofern der Erfolg auf persönlicher Leistung und Integrität beruht. Dias höchste Ziel kann auch damit nicht erreicht werden. Denn da die Würdigung durch einen anderen ausgesprochen werden muss, kann man sie nicht selbständig erreichen, sondern bleibt von anderen abhängig, die diese Würdigung aussprechen.

Die „betrachtende“ Lebensform

Als letzte Lebensform nennt Aristoteles die „betrachtende“. Er meint damit eine rein geistige Aktivität und sieht sie im Leben des Philosophen verwirklicht, der sich mit den höchsten Dingen beschäftigt. Bei ihm allein sieht er das höchste Gut erreicht. Das klingt für uns befremdlich, weil es sicher kein Ratschlag für alle sein kann, plötzlich die Philosophie als Beruf zu ergreifen. Aber vielleicht kann man verstehen, was er meint, wenn man die Attribute betrachtet, die er dieser Tätigkeit zuschreibt, „dass in dieser Tätigkeit (…) die Autarkie, die Muße, die Freiheit von Ermüdung und alles, was man sonst noch dem Glückseligen beilegt, sich finden wird.“ (EN 177b22)
Heute würde man sagen, dass es die Tätigkeit, in der man sich verwirklicht. Aber Selbstverwirklichung fasst man heute thematisch viel weiter. Dass Aristoteles hier nur ein geistiges Tun in Betracht zieht, weil er das Geistige für das Wertvollste im Menschen hält, wird man heute so wohl nicht mehr nachvollziehen. Aber – das sei angemerkt – auch heute hat man manchmal den Eindruck, dass jemand seine Fähigkeiten verschwendet, wenn er sich mit belanglosen Dingen beschäftigt, auch wenn er damit glücklich ist. Der gesunde Menschenverstand ist hier ein guter Wegweiser, ohne dass man es näher fassen könnte.

Was man von Aristoteles lernen kann

Was kann man aus diesen Reflexionen des Aristoteles mitnehmen? Wenn Handeln, wie er annimmt, immer an Zielen ausgerichtet ist, dann ist es wichtig, sich Gedanken über seine Ziele zu machen. Nicht nur über das nächste und übernächste Ziel, sondern über die Art der Ziele überhaupt. Dann auch darüber, was man sich für das Leben insgesamt als Ziel setzt. Aristoteles gibt uns dazu einiges an die Hand, was aus der unmittelbaren Lebenserfahrung in der griechischen Polis entsprungen, aber immer noch überraschend aktuell ist.

Quelle: Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt und mit einer Einführung und Erläuterungen versehen von Olof Gigon; München 1991.

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