Sein Sittengesetz formuliert Immanuel Kant als kategorischen Imperativ. Dieser wird oft mit der goldenen Regel verglichen, weil beide einen Schluss vom eigenen Tun auf eine allgemeine Moral zum Grund haben. Dabei verkennt man leicht die Unterschiede. Denn Kants kategorischer Imperativ geht weit über das hinaus, was die goldene Regel als allgemeine Lebensweisheit fordert.
Der gute Wille
Betrachten wir zunächst den kategorischen Imperativ. Ich will kurz Kants Gedankengang skizzieren, wie er in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zum kategorischen Imperativ gelangt. Er geht davon aus, dass es allein der „gute Wille“ ist, der in der Welt als uneingeschränkt gut bezeichnet werden darf. Gut ist er dann, wenn er sich allein von Gedanken an die Pflicht leiten lässt und von nichts sonst. Keine Rolle dürfen dabei jegliche andere Erwägungen spielen, weil allein der Wille gut ist und nichts anderes in der Welt. So spielen zum Beispiel die Fragen, welche Erfolgsaussichten dem pflichtgemäßen Handeln beschieden sein können oder welche Auswirkungen das Handeln haben kann, beim pflichtgemäßen Handeln keine Rolle.
Handeln aus Pflicht
Aber wo ist festgelegt, was pflichtgemäß ist? Unter Pflicht versteht Immanuel Kant die „Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“, und meint das Sittengesetz. Wie sieht dieses aber aus, wenn es die Grundlage für das Handeln des Willens sein soll, dieser allerdings als guter Wille sich nur an der Plicht orientiert. Wie kann das Gesetz vorschreiben, was getan werden soll, wenn man inhaltlich die Handlungen gar nicht bestimmen kann. Es scheint, als beißt sich an dieser Stelle die Katze in den Schwanz.
Das Sittengesetz von Immanuel Kant
Kant löst dieses Problem, indem er das formale Kriterium der Gesetzmäßigkeit selbst zur Grundlage des Gesetzes macht. Das Sittengesetz schreibt Handlungen vor, die dem Kriterium genügen müssen, dass sie ein Gesetz sein können. Also unser Wollen, Kant nennt es die Maxime des Handelns, muss immer so sein, dass man es zum Gesetz erheben könnte. Daran müssen sich alle Handlungen messen lassen. Das drückt der kategorische Imperativ aus.
Die goldene Regel
Die goldene Regel ist laut Wikipedia schon seit dem 7. Jhdt. V. Chr. als ethischer Grundsatz und in vielen Teilen der Welt bekannt. Sie fordert dazu auf, das eigene Handeln danach zu beurteilen, ob man selbst ebenso behandelt werden möchte. Das setzt voraus, dass man die Wirkung des eigenen Handelns auf andere Personen einschätzen kann. Erst danach kann man beurteilen, ob man diese Wirkung auch für sich akzeptieren würde und danach sein Handeln beurteilen.
Die Willkür der goldenen Regel
Die goldene Regel lässt bei der Beurteilung einen individuellen Spielraum. Denn Handlungen werden nicht an einem allgemeinen Kriterium gemessen, sondern daran was man selbst akzeptiert. Dabei wird nicht gefragt, ob das Verhalten objektiv unter dem Gesichtspunkt der Moral zu akzeptieren ist. Das Empfinden des Einzelnen kann hier von dem Abweichen, was man im Allgemeinen akzeptieren würde. So werden etwa in gewissen Milieus körperliche Auseinandersetzungen und Körperverletzungen als Mittel zur Regelung von Streitigkeiten durchaus akzeptiert. Würde man die Beteiligten nach der goldenen Regel fragen, würden sie ihr Verhalten wohl als damit konform ansehen.
Aber so weit muss man gar nicht gehen. Es reicht schon, dass ein desillusionierter und enttäuschter Mensch keine Hilfe mehr von anderen erwartet und damit rechtfertigt, dass er auch nichts für andere tut. Mit der goldenen Regel könnte er sein Verhalten rechtfertigen. Ebenso könnte ein Zyniker argumentieren, dass er nichts für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen tue, dies aber auch in keiner Weise von anderen erwarte.
Das Sittengesetz gilt für alle vernünftigen Wesen
Im Gegensatz dazu setzt der kategorische Imperativ gerade nicht auf ein individuelles Beurteilungskriterium. Die Idee der Gesetzmäßigkeit soll, so Kant, ein Kriterium sein, das für alle Menschen in gleicher Weise gilt. Er geht sogar darüber hinaus: es soll für alle vernünftigen Wesen gelten. Unter anderem um dies deutlich zu machen, formuliert er den kategorischen Imperativ in zwei weiteren Varianten, die seine allgemeine Gültigkeit unterstreichen.
Die Naturgesetz-Variante des kategorischen Imperativs
Als Naturgesetz-Variante lautet der kategorische Imperativ:
„Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“
Mit dieser Formulierung ist klar, dass es bei der Beurteilung einer Handlung anhand des kategorischen Imperativs nicht um die individuelle Wertung einer Person gehen kann. Denn wir verknüpfen mit einem Naturgesetz Vorgänge, die der Verfügung des Einzelnen entzogen sind, wie überhaupt die Natur nicht in unserer Gewalt steht.
Aus dieser Formulierung des kategorischen Imperativs lassen sich auch unschwer Urteile bilden. So dürfte es etwa intuitiv einsichtig sein, dass es nicht mit einem Naturgesetz vereinbar ist, dass die Menschheit mehr Ressourcen verbraucht als nachwachsen. Mit dem Sittengesetz ist das nicht vereinbar.
Die Person-Variante des kategorischen Imperativs
Die zweite Variante des kategorischen Imperativs ist nicht unmittelbar einsichtig aber in ihrer Bedeutung ebenso wichtig. Sie lautet:
Handle so, dass du die Menschheit , sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.
Zu Grunde liegt dieser Version des kategorischen Imperativs Kants Annahme, dass vernünftige Wesen, weil sie selbst dem Sittengesetz unterstehen, an sich einen Wert haben. Sie sind ein Zweck an sich selbst, den Kant Würde nennt. Dieser Begriff steht im Art. 1 dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland voran.
Der kategorische Imperativ in dieser Fassung erklärt, was es heißt, diese Würde zu wahren. Diese ist dann verletzt, wenn man z.B. eine Person manipuliert, damit man eigene Ziele erreicht, wie es etwa beim Mobbing geschieht. Man missbraucht sie dann als Mittel. Ebenso aber wäre die Würde eines Menschen verletzt, wenn man ihn auf einen bloßen Täter einer Tat reduzierte, so schlimm die auch sein mag. Denn ein Mensch ist nie ein reines Mittel zur Tat. Daraus erwächst aber für den Täter auch andererseits eine gesteigerte Verantwortung im Hinblick auf das Sittengesetz.
Kategorischer Imperativ und goldene Regel
Zusammenfassend lässt sich also ein klarer Unterschied zwischen dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant und der goldenen Regel formulieren. Während bei der goldenen Regel das Individuelle verallgemeinert wird, wird im Gegensatz dazu beim kategorischen Imperativ das Allgemeine für das Individuum verbindlich.
Lesen Sie hier, warum der kategorische Imperativ auch für unser Handeln in der Natur gilt.