Pythagoras und die moderne Naturwissenschaft

Pythagoras kennt man heute vor allem wegen des pythagoreischen Dreiecks, das wohl eher von seinen Schülern, als von ihm selbst entdeckt worden sein soll. Pythagoras selbst war ein griechischer Denker, der etwa um 570 v. Chr. in Samos geboren worden und angeblich um 500 v.Chr. in Metapontum gestorben sein soll. Weiter ist überliefert, dass er sich etwa um 530 v.Chr. in Kroton niedergelassen hat und dort eine Gemeinschaft von Anhängern um sich geschart haben soll, die nach gemeinsamen Lebensregeln ähnlich einem Orden oder einer Sekte lebte.

Er gehört zu den vorsokratischen Denkern. Sie fragen anders als die Philosophen der Neuzeit, wie etwa Immanuel Kant. Sie fragen nach dem, was die Welt im Grund ist. Pythagoras soll in den Zahlen den Grund der Welt gesehen haben.

Pythagoras

Pythagoras an der Schmiede

Was aber hat das mit der mathematischen Naturwissenschaft zu tun? Seine Zahlengläubigkeit selbst nichts. Aber sie führt Pythagoras zu einer Entdeckung, die zur Grundlage der  mathematischen Naturwissenschaft wurde.

Alles beginnt an einer Schmiede. Man berichtet von Pythagoras, dass er, als er an einer Schmiede vorbeikam, in den Tönen der fallenden Hämmer, die Intervalle Oktave, Quint und Quarte zu hören glaubte. Das soll seinen Entdeckerdrang geweckt haben, so dass er daran ging, die Hämmer zu wiegen. Zu seiner Verblüffung stellte er fest, dass die Gewichte der Hämmer sich wie die Zahlen 12, 9, 8 und 6 zueinander verhielten.

Das falsche Experiment des Pythagoras

Um dem Phänomen auf den Grund zu gehen und startete er danach ein Experiment. Er wollte herausfinden, ob die Gewichte und die Tonhöhen etwas miteinander zu tun haben. Dazu hängte er Gewichte, die denen der Hämmer entsprachen an Saiten auf und bestimmte die Tonhöhen. Das Experiment soll die von ihm gehörten Intervalle bestätigt haben.

Dieser Bericht ist aber offensichtlich eine Legende, da das Experiment so nicht funktionieren würde. Es ist physikalisch falsch. Denn die Tonhöhe ist nicht zur Spannung einer Saite, sondern zum Quadrat ihrer Spannung proportional.

Pythagoras als Naturwissenschaftler

Interessant ist aber an der Legende, dass man Pythagoras etwas zuschreibt, was man heute ein naturwissenschaftliches Experiment nennen würde. Sollte er so vorgegangen sein, entspräche sein Vorgehen, der modernen Naturwissenschaft, die Beobachtungen in der Natur unter Laborbedingungen wiederholen und beobachten möchte, um daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. Aber es steht zu vermuten, dass man ihm ein solches Vorgehen nur untergeschoben hat.

Für seine eigentliche Entdeckung brauchte er kein wissenschaftliches Experiment. Er konnte sie an einfachen Saiteninstrumenten machen, wie sie in der Antike schon bekannt waren. Dass nämlich die Tonhöhen von schwingenden Saiten von deren Länge abhängen. Weiterhin, dass die damals als harmonischen anerkannten Intervalle Oktave, Quint und Quart auf den Saitenlängen 1:2, 2:3 und 3:4 beruhen. In der antiken griechischen Musik war die Terz nicht als harmonisches Intervall anerkannt.

Die pythagoräische Zahlenspekulation

Für die Pythagoräer war dies der Ausgangspunkt, die gesamte sichtbare Welt als nach Zahlen geordnete und zugleich harmonische und schöne Ordnung anzusehen. Man vermutet daher, dass der Begriff “kosmos“, der ursprünglich Schmuck Schönheit bedeutet, erstmals auf die gesamte Welt angewendet wurde.

Für die Pythagoräer repräsentierte die in den harmonischen Intervallen zu findende Zahlenfolge die Vollkommenheit an sich und nannten sie Tetraktys. Die Vorstellung der Vollkommenheit rührt daher, weil in dieser Folge mit der „1“ die erste Zahl überhaupt, mit der „2“ die erste gerade Zahl, mit der „3“ die erste ungerade Zahl und mit der „4“ die erste ungerade Zahl zu finden sind.

Das Prinzip der modernen Naturwissenschaft

Die Zahlenspekulation selbst hat natürlich nichts mit moderner Naturwissenschaft gemein. Aber in ihr findet sich das Prinzip, dem die Naturwissenschaft folgt. Denn die besteht darin, sinnliche Phänomene durch mathematische Formeln auszudrücken. Bei Pythagoras sind es zusammenklingende Töne, die wir als harmonische musikalische Intervalle wahrnehmen, die er auf mathematische Propositionen zurückgeführt werden. Indem er so die sinnlich wahrnehmbaren musikalischen Intervalle durch Zahlen beschrieb, entdeckte er das Prinzip der modernen Naturwissenschaft.

Die Methoden von Physik und Chemie

Die moderne Physik würde die von Pythagoras entdeckten Harmonieverhältnisse durch Frequenzverhältnisse erklären. Allgemeiner gesprochen, versucht die Physik Kräfte und Bewegungen, die man wahrnehmen oder messen kann, mathematisch auszudrücken und wendet damit die pythagoreische Entdeckung an. Darauf beruhen viele physikalische Gesetze, die ihre unmittelbare Anwendung in den Ingenieurwissenschaften und der Technik finden.

Weniger streng mathematisch geht die Chemie vor. Aber auch sie ordnet die Chemie die Elemente im Periodensystem nach der Anzahl der Protonen im Atomkern nach einem mathematischen Prinzip. Dadurch ordnet sie die sinnlich erfahrbare Verschiedenartigkeit der chemischen Elemente nach einem mathematischen Prinzip.

Mathematik und Wirklichkeit

Warum aber, so kann man fragen, hat die Naturwissenschaft diese Anwendung der Mathematik auf die Natur so unhinterfragt übernommen, zumal deren Verhältnis weder geklärt noch unproblematisch ist. Von Einstein ist folgender Satz überliefert, der das Dilemma zeigt, vor dem man hier steht: „Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.“

Warum also wird die Mathematik auf die Wirklichkeit so fraglos angewendet? Es steht zu vermuten, dass hier die Sinnenfälligkeit der Übereinstimmung der musikalischen Harmonien mit den einfachen mathematischen Proportionen zu einer unhinterfragten Eigendynamik geführt hat. Oder anders ausgedrückt: weil sich das in der Musik so zeigt, hat man das Prinzip auf andere Bereiche auch angewendet. Seine positive Bestätigung erhält es dadurch, dass mathematische Berechnungen in ingenieurwissenschaftlicher Anwendung zu so guten Ergebnissen führen.

Die Harmonie bleibt außen vor

Dabei wird aber nicht beachtet, dass die pythagoreische Zahlenspekulation stets die Harmonie des Weltganzen im Blick hatte und sich primär auf die Lebensmöglichkeit der Menschen darin richtete. Auch Platon, der im Timaios an Pythagoras anschließt und die Weltseele mathematisch konstruiert, verfolgte damit letztlich eine ethische Intention. Er lieferte zwar eine erkenntnistheoretische Rechtfertigung für die mathematische Erschließung der Welt. Diese steht für ihn aber immer unter der primären Fragestellung, inwiefern die natürlichen Umstände es erlauben, einen gerechten Staat zu verwirklichen. Die mathematische Erschließung der Welt steht also immer unter einer ethischen Prämisse.

Das Verhängnis der Technik?

Alle metaphysischen und ethischen Prinzipien hat die moderne Wissenschaft seit Francis Bacons Novum Organum buchstäblich über Bord geworfen. Resultiert daraus das Verhängnis der modernen Naturwissenschaft und Technik? Kann man von hier einen direkten Weg zu Heideggers Technikkritik ziehen? Beruht etwa unser rücksichtsloser Umgang mit der Natur, der uns in eine ökologische Katastrophe führt, darauf, dass wir die ursprünglich ethische Komponente vergessen haben?

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