Mit seiner Rechtsphilosophie hat Georg Wilhelm Friedrich Hegel maßgeblich die Diskussion seiner Nachfolger über Staat und Gesellschaft beeinflusst. Nachdem 1820 seine Grundlinien der Philosophie des Rechts erschienen waren, konnte keiner mehr an diesem Werk vorbeigehen, das etwa den Begriffe der bürgerlichen Gesellschaft geprägt hat.
Keiji Sayama zeichnet Hegels Denkweg nach
Dass die Ursprünge seiner Sozialphilosophie in die Zeit der Französische Revolution zurückreichen, zeigt die Studie des Tokioter Philosophen Keiji Sayama. Er zeichnet Hegels Denkweg in der Sozialphilosophie von den Anfängen in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts bis zur Phänomenologie des Geistes im Jahre 1806 nach. Was Hegel während dieser Zeit umtreibt, ist das Problem, wie man einen Staat begründen kann, der die individuelle Moral der Individuen im Rahmen eines Staates fördert oder zumindest respektiert. Es geht also um die Vermittlung von Moralität und Legalität.
Hegel und die französische Revolution
Als Hegel sein Studium in Tübingen beendet und 1793 eine Stelle als Hauslehrer in Bern annimmt, herrscht in Paris noch das Regime Robespierre. Auch wenn Hegel sich in Bern abseits der universitären Zentren bewegt, ist er insbesondere mit den aktuellen intellektuellen Entwicklungen vertraut. Zudem kann man annehmen, dass er sich immer über die Verhältnisse in Paris auf dem Laufenden gehalten hat, da überliefert ist, dass er Zeit seines Lebens am 14. Juli auf die Französische Revolution angestoßen hat.
Intellektuelle Einflüsse
Sayama identifiziert viele weitere Einflüsse, die Hegel bei der Entwicklung seiner Position beeinflusst haben. Neben der Theologie, die Hegel in Tübingen studiert hatte, ist es zuallererst Kants Erkenntnistheorie wie auch seine Grundlegung der Moral mit dem kategorischen Imperativ, an den alle Debatten der neunziger Jahre des achtzehntens Jahrhunderts und natürlich auch Hegel anknüpfen. Er rezipiert in diesem Zusammenhang auch die Kantkritik Schillers und des Idealismus um Fichte.
Aber auch seine Studienfreunde Hölderlin und Schelling, mit denen er immer in brieflichem Austausch stand, haben entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung seiner Position genommen. Vor allem mit Schelling liest er Spinoza durch die Brille Jacobis, dessen absolute Substanz wesentlichen Einfluss auf Hegels Konzeption des absoluten Geistes ausgeübt hat. Weiterhin rezipiert er die Positionen des Naturrechts bei Rousseau und Hobbes. Er lehnt zwar deren vertragstheoretische Begründung des Staates ab, nimmt aber dennoch einige Aspekte auf. Besondere Wirkung kann Sayama Hegels Rezeption der schottischen Nationalökonomie nachweisen. Insbesondere durch Adam Smith kommt Hegel auf den Gedanken des Wert des Subjektes, das durch sein subjektives Streben zum Wohl des Staates beitragen kann.
Polisreligion und Selbstopfer
Wie Sayama zeigt, ist es in den frühen Schriften die griechische Polisreligion, an der sich Hegel orientiert. Bis hinein in seine Frankfurter Zeit sieht er in ihr das Modell einer Gesellschaft, in der die individuelle Moral mit der Sphäre der Legalität in Einklang steht. Vor diesem Hintergrund versteht er Jesu Lehre als Versuch die Polisreligion wiederzubeleben, der aber letztlich erfolglos und das Selbstopfer Jesu sinnlos bleibt. In weiteren Entwürfen hält Hegel am Konzept der Polisreligion fest, wobei er unter Einfluss des Spinozismus den Staat nach dem Modell eines lebendigen Organismus zu denken versucht. In allen seinen Entwürfen bleibt er bis zu Beginn seiner Jenaer Zeit etwa um 1799 bei seiner Auffassung, dass die gewünschte Versöhnung von Staat und Moral durch ein Opfer herbeizuführen ist. Mit gewissen Modifikationen wirkt diese Position noch im Kampf um Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes weiter.
Der Kampf um Anerkennung
Zu Beginn seiner Jenaer Zeit konkretisiert Hegel seine eigene Position insbesondere in Auseinandersetzung mit dem Naturrecht, die ihn zwar zunächst noch nicht über die Opferlehre hinausbringt, wie die Tragödie im Sittlichen zeigt. Er lehnt zwar die Lehren des Naturrechts ab, da er die Fiktion eines Naturzustandes für zu abstrakt hält, als dass man daraus etwas ableiten könnte. Allerdings erhält er aus Hobbes Kampflehre und Fichtes Anerkennungslehre wichtige Anregungen, um den Gedanken des Opfers verlassen zu können. An seine Stelle tritt der Kampf auf Leben und Tod, der sich am Besitz der Individuen entzündet, aber letztlich auf deren Ehre zielt. Er wird in der Folge, wie Sayama ausführt, von Hegel zu einem gegenseitigen Anerkennungsprozess der Individuen umgedeutet, der dazu führt, dass sich das einzelne Bewusstsein aufhebt und im Volksgeist aufgeht.
An dieser Stelle sei ein kurzer Blick auf Axel Honneth erlaubt, der den Kampf um Anerkennung ein eigenes Buch gewidmet hat. Er erkennt in Hegels Anerkennungslehre das Potential eines vollkommen anerkennungstheoretischen Konzepts der Sittlichkeit, dem er aber nicht nachgegangen sei, weil es nicht in sein System passte. (Vgl. Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Frankfurt a.M. 1994. S. 103)
Hegels Rezeption der schottischen Nationalökonomie
Weiterhin liest Hegel zu Beginn seiner Jenaer Zeit die Schriften schottischen Nationalökonomen James Steuart und Adam Smith. In seiner Lektüre wird ihm der Begriff der Arbeit wichtig, der bei Smith die gesellschaftliche Zusammenarbeit begründet. Denn aufgrund der Arbeitsteilung, so Smith, füge sich die Arbeit des Einzelnen in die gesamte Wirtschaftstätigkeit derartig ein, dass durch die Eigendynamik des Marktes die Verfolgung von Einzelinteressen in einen Beitrag zum Gemeinwohl umschlägt. Dieser Gedanke der „invisable hand“, ermöglicht Hegel, die Vermittlung von Einzelnem und Staat auf der Basis der Arbeit neu zu denken. Die von Smith festgestellte unwillkürliche Dynamik vom Einzelnen zum Ganzen bildet für Hegel den Ausgangspunkt, die Versöhnung von Einzelnen und Staat über den Begriff der Arbeit neu zu denken..
Hegels System als Philosophie des Geistes
Um diesen Gedanken in sein System einbauen zu können, muss Hegel allerdings das Individuum stärker in den Blick nehmen. Er muss sich schweren Herzens vom Ideal der antiken Polis verabschieden, und anerkennen, dass die Bürger ihre eigenen Interessen verfolgen, die mit denen des Staates nicht identisch sind: das Handeln als politischer Bürger und das Handeln nach wirtschaftlichen Interessen fallen auseinander, das Subjekt der modernen Gesellschaft ist entzweit.
Die Voraussetzung, sein System stärker auf das Subjekt auszurichten, hatte Hegel seit der Differenzschrift aus dem Jahre 1801 geschaffen. Dort beginnt er sich von Schelling und den Positionen seiner Jugend zu emanzipieren. Er denkt die Art der Vermittlung neu als „Identität der Identität und Nichtidentität“, also als eine Art der Verbindung, die die Verschiedenheit miteinschließt und bildet seine praktische Philosophie zur Philosophie des Geistes um. Dadurch kann er in der Phänomenologie die Wirklichkeit als Entäußerung des Geistes verstehen, der in der Arbeit des Begriffes zu sich selbst zurückkommt. Der Geist ist Subjekt, der sich selbst auslegt, so dass sich das Ich als Selbstbewusstsein zum Wir des Geistes erhebt. Auf diese Weise wird das Subjekt zum Ausgangspunkt von Hegels Systemdenken.
Herrschaft und Knechtschaft
Damit sind die Grundlagen für Hegels Sozialphilosophie gelegt. Wie Sayama zeigt, hat sie ihren ersten Auftritt im Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes in der Dialektik von Herr und Knecht, in denen der Kampf um Anerkennung und der Begriff der Arbeit die zentrale Rolle spielen. Dieses vermutlich prominenteste Kapitel der Phänomenologie wurde vielfach interpretiert. Es gibt Raum für marxistische Auslegungen, in denen der Umschlag der Herrschaftsverhältnisse durch die Arbeit des Knechtes besondere Betonung erfährt. Im Gegensatz dazu betonen die Rechtshegelianer die Bedeutung des Kampfes und der Todeserfahrung.
Ausgangspunkt für weitere Diskussionen
Die Studie von Sayama legt die gedanklichen Linien offen, auf denen Hegels Sozialphilosophie aufbaut. Sie bildet ein Fundament für eine sachliche Diskussion über den Kampf um Anerkennung und Hegels Sozialphilosophie. Die wäre vielleicht angebracht, wenn Axel Honneths Diktum stimmt, dass wir den Sozialismus als Idee vielleicht doch etwas vorschnell aus unserem Denken verabschiedet haben.